Das Möbelstück
Einen Tisch aus Holz und Messing, nicht barock, nicht schwer, sondern von einnehmender Einfachheit. Auf schlanken und beweglichen Füßen, mobil wie sein Besitzer. Das brauchte Alexander von Humboldt wohl, als er nach einer von Unrast und Fernweh geprägten Jugend, seiner spektakulären fünfjährigen Expedition in die Urwälder Amerikas, auf die Gipfel der Anden und Hochebenen Mexikos und nach langen Jahren in Paris in seine Heimatstadt zurückkehrte. Nicht nur als der bekannteste Berliner, der er wohl bis heute ist, sondern als der nach Napoleon berühmteste Mensch seiner Zeit, weltweit.
Den Auftrag, ein perfektes Möbelstück zu schaffen, um den Boden für weitere Großtaten zu bereiten, gab er 1827 nicht einem der Stars der Kunst-Tischlerei – von denen gab es in Berlin einige. Er beauftragte einen Meister, der die Vorstellungen und Bedürfnisse des illustren Auftraggebers ohne eigene Eitelkeiten umzusetzen wusste. Der Name des Tischlers hat die Zeit nicht überdauert, die handwerkliche Präzision und die schlichte Eleganz, mit der er einen Ideenraum für den großen Universalgelehrten schuf, ist jedoch zeitlos.
Alexander von Humboldt bedurfte in seiner Berliner Wohnung in der Oranienburger Straße keines Schreibtischs von monumentaler Schwere, er musste damit nicht sein gesellschaftliches Gewicht unterstreichen. Die feinen, aus Messing geschnittenen Rollen, ja die Leichtigkeit und Beweglichkeit des Tisches werden ihn vielmehr unterstützt haben, im Geiste weiterhin auf Reisen zu sein. Inmitten von Karten, Bergen von Manuskripten, gesammelten Naturalien und Büchern, „in meiner Oranienburger Wildnis“ – so schrieb er selbst.
An diesem Tisch verfasste Alexander von Humboldt nach eigenen Angaben jährlich etwa 2000 Briefe an seine Korrespondenzpartner, „ein feines, unsichtbares Netz fast über die ganze mitlebende Welt“. Hier verdichtete er seine profunden Kenntnisse vieler Wissenschaften, sein Diktum „Alles ist Wechselwirkung“ und die Erfahrungen eines bewegten Lebens zu seinem epischen Werk Kosmos – niedergeschrieben in den für ihn charakteristischen nach oben fliehenden Zeilen, publiziert in fünf Bänden und bis heute in aller Welt gelesen.
In der Form seines Schreibmöbels verrät sich auch ein Geheimnis seiner Arbeitsweise: Die Forschungsliteratur und die Arbeitswerkzeuge sind auf Plateaus an den Seiten des Tisches verbannt. Die bezogene Ebene selbst ist dem kreativen Prozess vorbehalten: den unzähligen größeren und kleinen Papieren, durch die hölzerne Einkastung vor Windzug geschützt, auf denen Alexander von Humboldt seine Notizen, Exzerpte und Entwürfe immer neu ordnete, um sie schließlich zu seinen komplexen Wissenschaftserzählungen zusammenzuführen – eine Meisterleistung von Organisation und Überblick, gestützt von einem klug und funktional konzipierten Möbelstück.